Während in den Hangars des Flughafens Tempelhof während der Kunstmesse schon wieder so etwas wie Dichte und Betriebsamkeit herrscht, bewahrt der unweit gelegene Friedhof Lilienthalstrasse, der jetzt zum Schauplatz einer künstlerischen Intervention geworden ist, die ihm quasi eingeschriebene Ruhe und Distanziertheit.
Berlin — ‹A Handful of Dust› heisst die von Pauline Doutreluingne und Petra Poelzl kuratierte und von Anne Duk Hee Jordan & Virol Erol Vert bespielte Ausstellung an der heutigen «zentralen Kriegsgräberstätte Berlins». Ein wenig frequentierter Friedhof, der für vier Wochenenden durch Interventionen von Künstler*innen, Musiker*innen und Wissenschaftler*innen mit Leben gefüllt wird.
Dem 1938, also schon vor Kriegsbeginn begonnenen, und bis 1941 von Wilhelm Büning unter dem Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt Albert Speer für die gefallenen Soldaten der Wehrmacht errichteten «Tempel des Vaterlandes» nähert man sich durch ein wuchtiges Tor. Die von majestätischen Blutbuchen beherrschte Grünanlage durchquerend, gelangt man jedoch zunächst zur Krypta, die die zentrale Achse seit 1966 unterbricht. Mit ihr wurde ein steinerner Kubus in die Freitreppe eingefügt, in dessen Mitte heute die ‹Sorgende Frau› des DDR-Bildhauers Fritz Cremer steht. Umfangen von der die Ausstellung durchziehenden Soundinstallation ‹Fragmente von dem Lied der Erde› nach Gustav Mahler, kann man sich in wie Liedtexte auf Bänken ausgelegte Lebensberichte vertiefen, die aus dem aufkommenden Nationalsozialismus stammen. Der polnisch-amerikanische Soziologe Theodore Abel hatte 1934 die geniale Idee, in Deutschland einen Wettbewerb auszuschreiben, um die Motive der vor 1933 in die Partei eingetretenen Nazianhänger zu erfassen – und stiess auf breite Resonanz. Fast 700 Menschen reichten ihre Geschichte ein. Hier hat man nun eine Auswahl weiblicher Stimmen, die für die damalige Untersuchung kaum von Interesse waren, und erfährt im Beisein der 1948 entstandenen ‹Sorgenden Frau› aus offenherzigen Berichten, welche persönlichen Umstände die Frauen zum Engagement in der NSDAP bewogen.
Über ein paar Stufen hinauf erreicht man die heutige Ehrenhalle. Stoffbanner hängen von der Fassade herab. ‹Hallen-Haut-Halle› heisst die Arbeit, die Ausschnitte des für die NS-Architektur typischen bossierten Mauerwerks wiederholen. Im Inneren empfangen einen drei grossformatige Gerüste, die der düsteren Monumentalität des sonst durch Oberlichter erhellten Raums mit Lichtröhren entgegenwirken. Daran hängen Körperteile wie Fetische herab: ein riesiger Fuss, Torsi mit nackten Brüsten, Augäpfel, ein aufgeblasener Mund … Rilkes Gedicht «Lösch mir die Augen aus» stand Pate. Auch der Titel der Ausstellung, die Raum und Zeit durch reiche Bezüge öffnet und von einem Rahmenprogramm mit Performances begleitet wird, ist Zitat: «I will show you fear in a handful of dust», wie die Zeile in ‹The Waste Land› – T.S. Eliots unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs entstandenem, heute wieder aktuellem Gedicht – vollständig lautet. Eine Einladung, diesen geschichtsträchtigen Ort genauer anzusehen. MW
Standortfriedhof Lilienthalstrasse, Fr, Sa, So, 13–19 Uhr, bis 27.9.
www.ahandfulofdust.com