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Werkschau 2024 – Jürgen Baumann

Das Atelier des Winterthurer Künstlers Jürgen Baumann ist nichts für schwache Nerven. Zumindest eine gewisse Schwindelfreiheit wäre wohl bei einem geplanten Besuch ratsam. Denn wirkt das im perifereren Stadtgebiet liegende Gebäude von aussen noch recht unscheinbar, entpuppt sich sein Inneres als ehemaliger Testturm des bekannten Winterthurer Chemtech-Unternehmens Sulzer AG. So bestimmt ein sich über mehrere Stockwerke erstreckender Schlot die Architektur des Raumes, von dem wiederum einzelne, offenstehende, lediglich mit Geländern gesicherte Etagenböden abgehen. Die Nutzer:innenschaft dieser Flächen ist wild durchmischt. Sie reicht von Start-ups über Mieter:innen von Lagerräumen und Kunstschaffenden bis hin zu einem Herrenklub, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, alte Motoren und Turbinen zu restaurieren. Bei meinem Eintreffen sind es auch diese, zusammengerückt an einer Festbankgarnitur, die die dominierende Geräuschkulisse liefern.    

Dass sich Jürgen Baumann gerade für diesen ungewöhnlichen Atelierort entschieden hat, erstaunt wenig. Immer wieder greift der Künstler in seinen Werken auf Architekturelemente zurück, wobei im Spezifischen dem Konstrukt «Haus» ein wichtiger Stellenwert zukommt. Es steht im übertragenen Sinne, so erklärt mir Baumann, für geistige Prozesse. Da sind beispielsweise die Zimmer, die mal mehr und mal weniger bewusst zugänglich sind, oder das Denken als ein Sichbewegen von Raum zu Raum, ein Einnehmen neuer Perspektiven, das sowohl zum physischen als auch mentalen Akt wird. Ergänzt wird die Thematik seit gut zwei Jahren durch das Sujet des Einbruchs, was wiederum auf eine vom Künstler selbst erlebte Situation zurückzuführen ist.

In stark metaphorischer und zugleich narrativer Weise scheinen Jürgen Baumanns Werke immer wieder auf eine intensive Auseinandersetzung mit dem Akt des Begreifens, des Erfassens sowie dem stetigen Scheitern daran zurückzugehen. In seinen Portalen und Portalbekrönungen etwa, die er von zuvor modellierten Vorlagen mittels einer dem Tiefziehverfahren ähnlichen Methode als transparente Polystyrol-Abformungen schafft. Mit Elementen aus Natur und Fantasiewelten sind sie gestalterisch stark an Portale gotischer Kathedralen angelehnt. Es sind letztendlich Hüllen, die zwar einen Gegenstand evozieren, der jedoch für die Betrachtenden – durch die Spiegelung der Oberfläche auf sich zurückgeworfen – stets ungreifbar bleibt. 

Ob als Abformungen, umhüllt, gezeichnet oder modelliert, Jürgen Baumanns Figuren und Objekte wirken ebenso fremd wie faszinierend. Unheimlich skurril und mit groteskem Witz bedient sich der Künstler einer Formensprache aus Comic, Popkultur und Mittelalter. Alleinstehend oder miteinander interagierend skizzieren die Arbeiten narrative Handlung, die gleichermassen offen und unfassbar bleiben, und dennoch eine geradezu spürbare Durchlässigkeit zu anderen Welten schaffen. 

Ein Beitrag im Kontext der Werkbeiträge des Kantons Zürich 2024.