Skip to main content

Werkschau 2024 – Levin Stettler Brogli

Levin Stettler Brogli ist auf Durchreise; nicht mehr ganz zuhause in Zürich, gerade noch im Zivildienst im Tessin und kurz vor dem Umzug für ein Masterstudium nach London. Deshalb wartet they mit einem Koffer und einem Lila-Grape-Fanta im überdachten Platzspitz-Pavillon auf mich. Weil momentan ohne Atelier, lagern Levins Werke bei Freund:innen, im WG-Zimmer oder im Elternhaus – und die aktuellsten in diesem Koffer. Vor dem Gespräch hievt Levin eine wabblige Kartonkiste auf den Boden und beginnt, einzelne Tierknochen, Schädel und eine pyramidenförmige Skulptur aus tierischen Überresten auszubreiten. Auf einmal sieht der Pavillon aus wie der Schauplatz eines unbekannten Rituals. Die Pyramide ist das aktuellste Werk: Ein zusammengeflicktes Lebewesen, das nach Verwesung riecht, mich schauderts. Levins Kunst spielt mit dem Auslösen solcher Reaktionen – ein Gruseln vielleicht oder eine Faszination fürs Unheimliche. Die Arbeiten werden jeweils zu «Wesen», erklärt Levin und zeigt mir den Eingang zur Pyramide, der gleichzeitig ein zahnbesetztes Maul ist. Die kleinen Hühner-Knochen sind Überreste von vertilgten Poulets, grössere Skelette und Häute sammelt Levin beim Neophyten-Rupfen im Tessin. Fleischliches Material und der damit einhergehende Vanitas-Aspekt faszinieren Levin. Der eigene und fremde Körper sind oft Teil der Praxis; Haare, Fingernägel oder das abgetrennte Ohrläppchen werden als Recherchetools oder als Material und Werkzeug eingesetzt. Levin sammelt, erwirbt in Brockenhäusern, fügt gefundene Kuriositäten und Materialien zu neuen Wesen, sourct aber auch Prozesse aus.

Levin Stettler Brogli interessiert sich für die Schnittstellen von Spiritualität und Kapitalismus. In der Knochenpyramide unter dem Arbeitstitel object used for divination finden diese Themen Platz. Dazu hat they ein pyramidenförmiges Gebäude in Chur inspiriert – McDonald’s-Filiale und Ibis-Hotel in einem. Es sei absurd, diese heilige Form aus dem alten Ägypten als kommerzialisierter Bau in die Schweizer Berge zu pflanzen. Levin versteht Kunst als eine Spielerei, mit der allgegenwärtige Mechanismen hinterfragt werden können. Dabei spielen der eigene und fremde Bias eine grosse Rolle. Ein anderes Werk aus dem Koffer ist die Auftragsmalerei vom Logo eines Kentucky-Fried-Chicken-Imitats im Zürcher Niederdorf. Für Levins Schaffen ist das Interesse für den Stellenwert sogenannter «Low culture», wie es Fast Food ist, eine treibende Kraft. Das Daumen-hochreckende Hühnchen wird zum unfreiwilligen Märtyrer, das koffeinhaltige Süssgetränk Mountain Dew zum Zaubertrank. Der nächste logische Schritt sei, ein Artefakt zu frittieren, sagt Levin, die Faszination auf die Spitze treiben. Kunst muss nicht gänzlich verstanden werden. Wenn eine gewisse Mystik mitschwinge, sei das doch viel spannender. Für Levin Stettler Brogli – und für alle anderen. 

Ein Beitrag im Kontext der Werkbeiträge des Kantons Zürich 2024.

Author

Details Portrait Name
Ava Slappnig

Artist(s)