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Werkschau 2024 – Yvonne Christen Vàgner

Wir schleusen uns durch einen dunklen Eingang, vorbei an Bestandteilen älterer Arbeiten; zum Beispiel der Fassade eines kleinen Holzhauses. Mit Yvonne Christen Vágners Arbeitsplatz öffnet sich dann ein helles, feuchtes Paralleluniversum. An den Seiten liegen eine dampfende Mooslandschaft und bewachsene Dachziegel, von der Decke hängen fragile Skulpturen, auf dem Tisch breiten sich Fotos und Materialproben aus, weiter hinten steht eine Werkbank. In der tropischen Luft werden unsere Haaransätze feucht. 

Sie arbeitet jeweils an mehreren Projekten gleichzeitig, erzählt die Künstlerin, so stösst sie auf ungeahnte Verwandtschaften. Zum Beispiel die von explodierenden Sternen und zu Urzeiten ans Land gekrochene Pflanzen in der aktuellen Arbeit Silver Spoon. Es sind fragile Konstrukte aus gewalztem Silber und getrockneten Flechten, die als schwebende Wesen von der Decke hängen. Silber ist das Nebenprodukt einer Supernova und hat, ebenso wie Flechten, antibakterielle und antibiotische Eigenschaften, erklärt Yvonne Christen Vágner. Für Silver Spoon walzt sie Silberbesteck zu hauchdünnen Blättern und Gräsern. Dass sie genau weiss, wie sich Metalle verhalten und was sie aushalten, verdankt die Künstlerin ihrer Ausbildung. Sie ersteigert das Besteck jeweils secondhand; rezykliertes Material zu sammeln und neu zu bearbeiten ist ein wichtiger Bestandteil ihrer Praxis. Antibakterielles und dadurch lebensrettendes Silberbesteck war lange das Privileg einer wohlhabenden Elite, heute wird es der Künstlerin manchmal frisch poliert in gepolsterten Schatullen zugeschickt. Indem sie das Besteck mit der Walzmaschine bearbeitet und mit vergänglichem, organischem Material kombiniert, löst sie das Hierarchiegefälle nun endgültig auf.

Yvonne Christen Vágners Arbeiten verändern sich mit der Zeit, verfärben, trocknen, werden brüchig, «wertlos» oder wieder zu Erde. Ihr Interesse für organisches Material wie Moos basiert in der Beschäftigung mit Landart. Die Kombination von Künstlichkeit und Natürlichkeit fasziniert sie, das Spiel von menschlichen Interventionen in der Natur und organischen Materialien in künstlichen Räumen. Ich darf alles anfassen, streichle und drücke die dampfende Installation Moosgarten, während mir die Künstlerin vom über 400 Millionen Jahren alten Urgewächs erzählt. Sie besuche den Botanischen Garten in Zürich, um die Pflanzen unter dem Mikroskop zu untersuchen und bestimmen zu lassen. Nicht alle Moose dürfen gesammelt werden, und damit diese andernorts weiterwachsen, müssen die Umstände stimmen. Sie spricht von den Moosen als Lebewesen, um die sie sich kümmert und schliesslich auch wieder in die Natur zurückführt. Dieser sorgfältige und nachhaltige Umgang mit ihren Materialien ist bezeichnend für Yvonne Christen Vágners gesamte Arbeit. Im Garten hinter dem Atelier wächst nun einer ihrer Moosteppiche selbstständig weiter – die Umstände stimmen. 

Ein Beitrag im Kontext der Werkbeiträge des Kantons Zürich 2024.

Author

Details Portrait Name
Ava Slappnig

Artist(s)