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Andere Intelligenzen: Die Kunst des Miteinanders

Angesichts globaler Krisen stellt sich die Frage, wie wir die Beziehung zu unserer Umwelt künftig gestalten. Aktuelle Forschungsprojekte und Ausstellungen, zum Beispiel jene im HEK in Münchenstein, geben Antworten und eröffnen Perspektiven auf ein Phänomen, das aus der Gegenwartskunst nicht wegzudenken ist: künstlerische Ausdrucksformen, die zeigen, wie vielfältig Welten und Intelligenzen ineinander verflochten sind.

Der polnische Schriftsteller Stanisław Lem (1921–2006) hatte die Vorstellung, dass Bäume Licht geben könnten. Science-Fiction-Szenarien wie dieses sind heute Realität geworden: Das zeigten jüngste Forschungsergebnisse zur Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen, etwa der Unternehmen Woodlight aus Strassburg und Light Bio in den USA. Dabei wird die Biolumineszenz als natürliche Lichtquelle genutzt. Die Installation Experiments III (2025) der Schweizer Künstlerin Susanne Hartmann, die derzeit im Haus der Elektronischen Künste HEK in Münchenstein bei Basel zu sehen ist, beleuchtet ein nicht weniger spektakuläres Naturphänomen. In violettem Licht veranschaulicht sie das, was normalerweise unter dem Waldboden verborgen bleibt: Mykorrhiza-Netzwerke, auch «Wood Wide Web» genannt. Hartmann hat das fadenförmige Geflecht aus Pilzzellen mit dem Fruchtkörper des Pilzes durch Glasfaserkabel verbunden. Diese übersetzen die bioelektrischen Impulse des Pilzes in Lichtsignale und zeigen sein Wachstum.
Pilze leben niemals allein, sondern in artenübergreifenden, symbiotischen Verbindungen mit ihrer Umwelt und vernetzen so ganze Wälder. Es handelt sich um eine organische, dezentrale Technologie, die auf Solidarität beruht. Informationen werden ausgetauscht und Nährstoffe zu fragilen Organismen transportiert, damit sich der Wald als zusammenhängendes Ökosystem entwickeln kann. Angesichts solcher hochkomplexer natürlicher Systeme stellt sich die Frage: Welche anderen Formen von Intelligenz existieren um uns herum, wie können wir mit ihnen zusammenleben, und was können wir von ihnen lernen?

More than human
Der US-amerikanische Philosoph David Abram hat bereits im Jahr 1996 den Begriff «more than human» etabliert, der in aktuellen künstlerischen Diskursen allgegenwärtig ist. Darunter wird ein gleichberechtigtes Neben- und Miteinander von belebter und unbelebter Materie mit dem Menschen verstanden. Etwa zeitgleich wie Abram beschäftigte sich auch das britische Kollektiv Cybernetic Culture Research Unit CCRU mit anderen Intelligenzen, insbesondere der maschinellen. Auch ihre Theorien rund um Philosophie, Science-Fiction und Kybernetik haben eine ganze Generation von Kunstschaffenden beeinflusst, ebenso ihre cybermystischen Thesen, denen zufolge Maschinen ein autonomes Bewusstsein erlangen.
Angesichts sich rasant entwickelnder Technologien und der Tatsache, dass Alternativen zum Raubtierkapitalisums gesucht werden müssen, sind neue Kulturkonzepte brennend aktuell. Mit Fokus auf die gesellschaftlichen, politischen und ethischen Auswirkungen moderner Technologien ist James Bridle eine der interessantesten Stimmen der Gegenwart. In England geboren, verbindet Bridle Kunst, Theorie und Praxis, um komplexe technologische Themen fassbar zu machen. Mit dem viel beachteten Buch Ways of Being (2022) plädiert Bridle für einen Perspektivenwechsel weg vom anthropozentrischen Denken hin zu neuartigen Strukturen und Modellen.

Verflechtungen von Kunst und Wissenschaft
Multispezies-Ansätze und mehr-als-menschliche Perspektiven sind auch relevant für Yvonne Volkart, Forschungsleiterin am Institut Art Gender Nature, Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel FHNW. Sie ist der Meinung, «dass Kunst eine ethisch-ästhetische Bedeutung hat und dass sie dafür auch immer wieder zeitgemässe Formen und Praktiken erfinden muss». Allerdings seien im Umgang mit künstlicher Intelligenz durchaus auch Zweifel angebracht, denn «KI ist ungleich potenzierter als andere Technologien auf Verschleiss und Vermüllung von Ressourcen angelegt: Dieser Raubbau ist ihrem Prinzip inhärent, zum Beispiel Extraktion von Daten und intensive digitale Trainings».
Gemeinsam mit ihrem Team (Felipe Castelblanco, Julia Mensch und Rasa Smite) sucht Volkart in interdisziplinär ausgerichteten Forschungsprojekten nach Alternativen und findet mögliche Antworten bei den Pflanzen mit ihren regenerierenden Fähigkeiten. Das von ihr geleitete SNF-Forschungsprojekt Plants_Intelligence. Learning Like a Plant, das derzeit in Form einer Ausstellung im Badischen Kunstverein in Karlsruhe sichtbar wird, ist ein Beispiel dafür, wie Kunst und Wissenschaft gemeinsam Wissen generieren und «intelligent» Formen der Pflanzen-, Land- und Forstwirtschaft suchen.
Einen visionären Blick in die Zukunft wirft derzeit auch das Haus der Elektronischen Künste HEK mit der Ausstellung Andere Intelligenzen, in der die eingangs beschriebene Installation von Susanne Hartmann zu sehen ist. Anhand von insgesamt elf verschiedenen Werken internationaler zeitgenössischer Künstler:innen zeigt die Schau, welche Strategien angewendet werden können, um verschiedenen Formen von Intelligenz – künstliche, technologische und organische – in ihrem Zusammenspiel erfahrbar zu machen. In diesem Sinne ähnelt sie einem sorgfältig kuratierten Versuchslabor, das die Massstäbe der menschlichen Wahrnehmung hinterfragt. Einerseits durch die Sichtbarmachung von Prozessen und Phänomenen, die dem Menschen normalerweise verborgen bleiben, wie beispielsweise Myzelkulturen. Andererseits werden durch «spekulative Fiktion» mögliche Zukünfte oder alternative Realitäten erforscht. Etwa durch Storytelling in Form von Videospielen, die es ermöglichen, Game-Welten aus mehr-als-menschlicher Perspektive zu entdecken, oder durch die Inszenierung von posthumanen Welten, die von hybriden Superorganismen belebt werden.
Wenn es um die futuristische Evolution geht, sind auch Roboter und Cyborgs nicht wegzudenken. Sie werfen die Frage auf, wo die Biologie aufhört und die Technik beginnt. Dabei wird der eigene Körper zu einem wichtigen Bestandteil der Kunsterfahrung. Offensichtlich wird dies beim Eintauchen in multisensorische Mixed-Reality-Installationen oder beim Betreten immersiver Räume, in denen KI-Prompting auf Bewegung reagiert und manchmal auch halluziniert.

Zukunftsvisionen
Der Ausstellungsrundgang durch Andere Intelligenzen endet vor einem Terrarium, in dem Gurkenpflanzen ihre feinen Ranken tastend schwebenden Lichtkugeln entgegenstrecken. Als sensorisches Wesen programmiert, bewegt ein Roboter die bunten Kugeln an Drähten und stoppt, sobald sich eine Ranke daran festklammert. Auf diese Weise wachsen die Gurkenpflanzen zusammen mit dem robotischen KI-System in einer Art Dialog oder auch Fangspiel. Die biokünstlerische Arbeit PL’AI (2020) der Slowenin Špela Petrič fordert ein anderes Wissen über das Pflanzliche ein, indem sie mittels künstlicher Intelligenz den molekularen Bewegungen in der Flora nachspürt. Für die menschliche Wahrnehmung hält sie diese in einem Zeitraffer-Video fest.
Kunstwerke wie dieses sind eine Einladung, Intelligenz als etwas Relationales zu verstehen, das sich durch Interaktion, Kommunikation, gegenseitige Anpassung und Fürsorge langsam entwickelt. Und sie sind, wie erwähnt, keine Ausnahme. Das bestätigt ein Blick auf laufende Ausstellungen und Projekte: So ist Whispers from Tides and Forests im Kunsthaus Baselland (→ KB 6/2025, S. 108–111) ebenfalls in Münchenstein oder Unter Pflanzen im Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg zu sehen. Und als Kooperation von Universität Zürich und We Are AIA entstand die Performance-Reihe Botanical Memories, die sich auf somatisches Wissen und Selbstheiltechniken der Natur rückbesinnt.
Wird Kunst als Symptomanzeige der Gegenwart und als Seismograf der Zukunft ernst genommen, stellt sich die Frage, was ihre Aufgabe sein kann auf der Suche nach neuen Zugängen zur Welt. Sabine Himmelsbach leitet das HEK seit vielen Jahren und hat die Ausstellung Andere Intelligenzen gemeinsam mit Marlene Wenger kuratiert. Ihrer Meinung nach kann Kunst zukünftig eine zentrale Rolle spielen, «indem sie uns hilft, das menschliche Sensorium auf andere Formen von Intelligenz und Wahrnehmung einzustimmen. Sie kann unsere ökologischen und erkenntnistheoretischen Vorstellungswelten erweitern und uns über das binäre Denken von menschlicher versus maschineller Intelligenz hinausführen – hin zu einem hybriden und relationalen Verständnis davon, was es bedeutet, die Welt zu denken und zu erfahren».

Institutions

Détails Title Country City
Allemagne
Karlsruhe
Badischer Kunstverein
Allemagne
Karlsruhe
Suisse
Basel/Münchenstein
HEK (Maison des Arts Electroniques)
Suisse
Basel/Münchenstein
Suisse
Basel/Münchenstein
Kunsthaus Baselland
Suisse
Basel/Münchenstein
Allemagne
Bad Homburg
Museum Sinclair-Haus
Allemagne
Bad Homburg
We Are AIA I Awareness in art
Suisse
Zürich

Exhibitions / Events

Title Date Type City Country Détails
Plants_Intelligence 11.07.2025-23.11.2025 Exposition Karlsruhe Allemagne
11.07.2025-23.11.2025
Exposition
Karlsruhe
Allemagne
Andere Intelligenzen 10.05.2025-10.08.2025 Exposition Münchenstein Suisse
10.05.2025-10.08.2025
Exposition
Münchenstein
Suisse
Botanical Memories: Eine Performance-Reihe 27.04.2025-06.09.2025 Exposition Zürich Suisse
27.04.2025-06.09.2025
Exposition
Zürich
Suisse
Whispers from Tides and Forests 11.04.2025-17.08.2025 Ausstellung Basel/Münchenstein Suisse
11.04.2025-17.08.2025
Ausstellung
Basel/Münchenstein
Suisse
Unter Pflanzen 16.03.2025-17.08.2025 Exposition Bad Homburg Allemagne
16.03.2025-17.08.2025
Exposition
Bad Homburg
Allemagne

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