en passant — Tod eines Pausenbrots
Drei Gongtöne und der Frieden ist vorbei, der eben noch auf dem Areal der Sekundarschule Wallrüti in Winterthur herrschte. Aus allen Klassenzimmern strömen Schüler:innen in die Laubengänge des luftigen Hauses hinaus, lachen, kreischen, schubsen sich herum. «Miau, miau, miau», macht es über mir. Ich blicke hoch und in die Gesichter zweier Mädchen, die sogleich kichernd davonstieben. Wenig später höre ich ein gellendes «Nein!» aus dem zweiten Stock, kurz darauf fliegt ein rosa Bündel über meinen Kopf hinweg, prallt gegen die Betonwand, die zwischen Schulhaus und Eisenbahnlinie im Grünen steht, rutscht ab und bleibt direkt vor der bronzenen Katze liegen, die hier den Buckel macht. Das Tier gehört zu der Skulpturengruppe ‹Fragmente›, die Zilla Leutenegger 2022 installiert hat. Ich schaue wieder nach oben, nun lugt ein Junge im Kapuzenpullover über die Brüstung. Wieder ertönt der Gong, der Lärm verebbt in die Klassenzimmer hinein. Das rosarote Bündel bleibt bei der Katze zurück. Neugierig gehe ich darauf zu, erkenne bald, dass es sich um eine Baumwolltasche handelt. Und plötzlich bewegt sich der Stoff. Steckt da ein Tier im Sack? Schnell entwirre ich das Tuch und reisse den Beutel auf. Ein Knall, eine Windböe fährt mir ins Gesicht, ich zucke zurück. Doch es ist nur die S-Bahn, die in ebendiesem Moment vorbeirauscht. Aus dem Innern des Sacks starren mich ein zermantschter Apfel, ein verbogener Schokoriegel und ein paar zertrümmerte Kekse an.
Samuel Herzog, Textbauer, Inselbauer, Schüttsteinschaffer. info@samuelherzog.net
