Luzern — ‹Town-Ho›: Mit dieser Titelüberschrift feiert das ‹_957 Independent Art Magazine› seine hundertste Ausgabe. Der fremdsprachig klingende Ausdruck mit dem Bindestrich zwischen den beiden Einsilblern bezeichnet nicht nur einen alten nordamerikanischen Walfangschrei beim Anblick dieses riesigen Meeresbewohners. Auch das Nantucket-Walfangschiff in Herman Melvilles Binnengeschichte des Romans ‹Moby Dick› lautet auf diesen Namen. An Bord dieses fiktiven Schiffs befinden sich zwei Kontrahenten, die sich gegenseitig die Köpfe einschlagen: Zum einen der Befehle verweigernde Matrose Steelkit aus Buffalo und zum anderen der sture Bootsmann Radney. Die Raufereigeschichte mit blutigem Ausgang handelt vom erfolgreichen Widerstand gegen Machthaber.
Ähnlich kündet auch der weisse Pottwal ‹Moby Dick› vom politisch brisanten Thema der Revolte: Das in seinem Namen enthaltene englische Wort «mob» ist eine Anspielung auf die beunruhigende Mobilität von Massen. In Bewegung geratene Kräfte stellen auch den visuellen Ausgangspunkt der nächsten Ausgabe des ‹_957 Independent Art Magazine› dar. Anlässlich der Jubiläumspublikation des vom Künstler Stephan Wittmer herausgegebenen Nischenmediums werden die turbulenten Massen allerdings nicht von revolutionären Kollektiven gebildet, sondern von im Netz gefundenen und digital bearbeiteten Bildern, die ungestüm wogendes Wasser zeigen. Ausgehend von diesem als Vorlage dienenden Sujet haben die teilnehmenden Kunstschaffenden, darunter Anouk Koch, Felix Stöckle und Marlène Pichler durch analoge Eingriffe in das Material neue Bilder von eigenständigem Charakter geschaffen. So etwa diente Pichler eine Aufnahme aufschäumender Wellen als Hintergrund ihrer Komposition von sich überlagernden ovalen Elementen. Das Ende dieser Überlagerungen bildet ein rechteckig ausgeschnittenes Feld, das den Blick auf eine darunterliegende ausgedrückte Farbtube mit der Aufschrift ‘Vermilion 205’ freigibt. Das Ausgangsmaterial - das stürmische Wasser - erscheint durch die zwischen Collage und Assemblage oszillierende Anordnung von Formen dabei derart verfremdet, dass es sich mehr wie ein formal passendes Dekor zu lesen gibt, denn als ein Träger von weiterführender Bedeutung.
Mit der Ausgabe ‹Town-Ho› geht es Wittmer entsprechend weniger um das unruhige Meer als Metapher für Widerstand und Aufbegehren, als vielmehr um die formal-ästhetischen Assoziations- und Gestaltungsmöglichkeiten, die das Motiv zur weiteren künstlerischen Bearbeitung bereithält. So wie der Schauplatz der offenen See in Melvilles Roman die Abenteuergeschichten wie einen roten Faden durchzieht, verknüpft es auch die künstlerisch gestalteten Seiten der 100. Ausgabe der Kunstzeitschrift.